Die Produktion des einzigen Brennstoffzellen-Auto eines deutschen
Herstellers, des Mercedes-Benz GLC F-Cell, wurde eingestellt, einen
Nachfolger soll es nicht geben (vgl.[1]).
Warum gibt es keine deutschen H2-Autos?
Verfechter batterieelektrischer Antriebe verspotten die
Brennstoffzelle (engl. "fuel cell") gern auch als "fool cell" (dt.
etwa "Narren-Zelle, vgl. z. B. [2]). Gern wird dabei auch von der
neuen, noch wenig erprobten Technologie gesprochen, die als noch
nicht praxistauglich eingstuft wird - oder man erklärt sie ganz im
Gegentail als überholt und "von gestern", was z. B. die Meinung von
VW-Chef Herbert Diess zu sein scheint ([3]).
Aber - ist das wirklich eine neue Technlogie? Ich selbst habe von
der Brennstoffzelle erstmals in den 60er Jahren gehört, als diese in
den Gemini-Missionen der NASA zum Einsatz kamen - wie später auch in
den Apollo-Raumschiffen, den Space Shuttles und in der ISS. "Im All
sind Brennstoffzellen längst Standard" titelt der innovations report
[4].
Der Wikipedia-Artikel zur Brennstoffzelle [5] listet
zahlreiche weitere Anwendungen auf, und über die Geschichte der
Brennstoffzellen gibt es einen extra Eintrag [6], wo man erfährt, dass
die Brennstoffzelle bereits 1838 erfunden wurde.
Soviel zum Thema "neue Technologie".
Und anderswo geht es doch auch: Honda, Hyundai und Toyota (in
alphabetischer Reihenfolge) zeigen, dass man H2-Autos durchaus auch
in Serie bauen und verkaufen kann.
Verschläft die deutsche Industrie da eine Entwicklung? Oder könnten
wir zwar, wollen aber (noch) nicht? Und wenn ja, warum?
Wie geht es denn unseren deutschen Autobauern gerade?
Laut Statista [7] sind die PKW in Deutschland im Durchschnitt 9,6
Jahre alt, Tendenz steigend. Laut Kraftfahrt-Bundesamt steht einem
Bestand von 47,7 Millionen PKW (Stand 1. Januar 2020, [
[8]) eine Zahl
von 3,6 Millionen Neuzulassungen (für 2919, [09]) gegenüber. Demnach
würde es aktuell 13,25 Jahre dauern, um den Bestand zu ersetzen.
Es scheint also durchaus berechtigt, davon auszugerhnen, dass ein
PKW in Deutschland im Durchschnitt erst nach 10 Jahren ersetzt wird.
Im Moment ist der Anteil der E-Autos noch sehr gering: wenn man
Elektro- (0,3%), Hybrid- (1,1%), Plugin-Hybrid- (0,2%) und H2-Autos
(0.001%) addiert (alle Zahlen aus [8]), sieht man, dass der Anteil
aller elektrisch angetriebenen PKW noch weit unter 2% dümpelt, also
praktisch noch keine Rolle spielt - allerdings sind die Zuwachsraten
bei Elektro- (+64,3 %) und Hybridfahrzeugen (+58,0 %) enorm. Bei
solchen Zahlen hat jeder Unternehmer leuchtende Dollarzeichen in den
Augen.
Ok - aber dass die elektrischen Antriebe boomen, das wussten wir eh
schon. Wir suchen nach einer Antwort auf die Frage, warum die
Deutschen (noch) keine H2-Autos bauen.
Eines ist klar: Wasserstoffantriebe sind noch in einer sehr frühen
Phase - gerade mal 507 H2-Autos waren zum 01. 01. 2020 in
Deutschland zugelassen ([8]) - dem stehen aktuell 84 Tankstellen in
Deutschland (vgl. [10]) entgegen. Das ist eine klassische
Henne-Ei-Situation: solange es nicht mehr H2-Autos auf den Straßen zu
sehen gibt, rücken sie nicht in das Bewußtsein der breiten Massen,
und die wenigen, die sich potentiell interessieren, werden vom
dünnen Tankstellennetz schnell verschreckt. Und wozu neue
Tankstellen bauen, wenn es keine Autos gibt, die dort tanken?
Aber das kann nicht die alleinige Ursache sein - das gleiche Problem
hatten die ersten batterielektrischen Autos ja auch.
Wer Krimis mag, der weiss, dass sich Ermittler gern (und oft
erfolgreich) mit der Frage "Cui bono?"
(Wem nützt es? vgl. [11]) beschäftigen.
Warum fokussieren sich unsere Autobauer also (zumindest nach aussen)
nur auf die batterielektrischen Antriebe?
Vom Abgasskandal ohnehin schon heftig geschüttelt, haben sie die
elektrischen Antriebe in der Tat zu lange ignoriert. Lange haben
sie über Tesla gelächelt, heute laufen sie der Entwicklung
hinterher. Aber das ist es nicht allein…
So warnt z. B. VW-Chef Herbert Diess, dass ein E-Auto etwa 30 Prozent
weniger Arbeit als ein Verbrenner erfordert ([12]). Da droht also
Stellenabbau in erheblicher Größenordnung. Das liegt einfach daran,
dass E-Autos deutlich einfacher aufgebaut sind als Verbrenner -
viele der komplexen und damit teuren (und auch fehleranfälligen)
Baugruppen gibt es einfach nicht mehr: Anlasser, Lichtmaschine,
Kupplung, Schalt- oder Automatikgetriebe, Vergaser /
Einspritzsystem, Zahnriemen, … Die Liste, was alles wegfällt, ist
lang. Statt dessen gibt es im Grunde nur noch Stromlieferant,
Elektromotor, Leistungselektronik und ein Computersystem, das
Steuerung, Infotainment und sonstige Funktionen übernimmt.
Wenn aber so viele komplexe und damit fehleranfällige Komponenten
wegfallen, dann kann man recht einfach ableiten, dass sich die
Zuverlässigkeit des Systmes erhöht - es benötigt weniger Service und
Wartung (Achtung, Autowerkstätten - auch auf Euch kommt etwas zu),
und vor allem sollte man mit einer höheren Lebensdauer rechnen
können. Den Stromerzeuger lassen wir bei dieser Spekulation besser
erst einmal aussen vor - über die zu erwartende Lebensdauer der
Batterien und Brennstoffzellen muss man sicher noch einmal separat
reden.
In einer Zeit, wo Abgas-Skandal auf der einen und Aktionen für mehr
Klimaschutz und Nachhaltigkeit auf der anderen Seite der
Autoindustrie einiges an ernst zu nehmenden Sorgen bereiten, kommt
nun also die Technologie der elektrisch angetriebenen Autos auf den
Markt. Das ist eine Chance für die Autoindustrie, den Absatz neuer
E-Autos anzukurbeln, mit tatkräftiger Unterstützung durch unsere
Politik.
Aber die E-Autos können nicht nur einfacher gefertigt werden
(Arbeitskräfteabbau), sondern sie haben auch das Potential einer
längeren Lebensdauer - nach einem kurzen Boom jetzt wird es dann
also noch schwerer, neue Autos an den Mann (und zunehmend gern auch an die Frau!) zu bringen. Selbst das
Locken mit neuen Leistungsmerkmalen klappt nicht mehr so wie früher: Heute wird sehr viel davon in Software realisiert, und die neuesten
Features können einfach per Software-Update eingespielt werden - per
OTA-Update ("Over the air") muss dazu das Auto nicht einmal mehr in
eine Werkstatt. Tesla zeigt sehr schön, was da heute schon alles
geht.
Also gibt es jetzt nur einen kurzen Boom, und dann brechen die
Ergebnisse um so heftiger ein? Ohne dass man etwas dagegen tun
kann?
Man könnte jetzt spekulieren: Was wäre, wenn jetzt nurbatterielektrische Autos auf den Markt kommen, und in ein paar
Jahren (während der andere Hersteller die Brennstoffzellen-Technologie noch weiter verfeinern)
präsentiert man dann den Kunden eine neue Idee. Bis dahin ist der
E-Auto-Hype verflogen, und die Ernüchterung über die unpraktischen
kurzen Reichweiten, die immer noch zu wenigen und grade dann, wenn
man sie braucht, bereits besetzten Ladestationen und vor allem die
viel zu langen Ladezeiten hat eingesetzt. Was, wenn dann eine neue
Generation von E-Autos auf den Markt kommt, die all diese Nachteile
nicht mehr hat, weil sie mit Brennstoffzelle statt mit Batterie
funktionieren? Dann, so könnte man spekulieren, kann unsere Autoindustrie in einer zweiten Welle noch einmal eine neue Generation von E-Autos auf den Markt
werfen, lange bevor das nach der eigentlichen Lebensdauer der
batterieelektrischen Autos zu erwarten gewesen wäre,
Das Sparsamkeitsprinzip, oft auch Ockhams Rasiermesser genannt ([13]),
besagt, dass die Erklärung, die mit den wenigsten und einfachsten
Annahmen auskommt, mit hoher Wahrscheinlichkeit die zutreffende ist.
Unsere deutschen Ingenieure und Wissenschaftler sind nicht dumm, und
die Marketingleute und Planer der Autoindustrie sicher auch nicht.
Könnte es vielleicht sein, dass die Spekulation auf so eine "zweite
Welle" der Grund ist, dass wir (noch) keine H2-Autos auf den Markt
bringen?
"Cui bono?" Wem zum Vorteil?
Nur - ob die Rechnung aufgeht? Die "anderen" schlafen nicht und bauen ihren Vorsprung vermutlich weiter aus…
[1] auto motor sport: Mercedes stoppt den GLC F-Cell
[2] manager magazin: Wasserstoff als Wundermittel
[3]
Elektroauto-News: VW-Chef Diess hält Wasserstoff-Autos für „Unsinn“
[4] innovations report: Im All sind Brennstoffzellen längst Standard
[5] Wikipedia: Brennstoffzelle
[6] Wikipedia: Geschichte der Brennstoffzellen
[7] Statista: Durchschnittliches Alter von Pkw in Deutschland in den Jahren 1960 bis 2020
[8] Kraftfahrt-Bundesamt: Jahresbilanz - Bestand
[9] Kraftfahrt-Bundesamt: Jahresbilanz - Neuzulassungen
[10] h2.live: Übersicht
[11] Wikipedia: Cui bono
[12] manager magazin: Autobosse legen Elektro-Konflikt vorerst bei
[13] Wikipedia: Ockhams Rasiermesser